Sonntag, 19. Oktober 2003
Langzeitarbeitslose in der Sackgasse
Das erste, was man dem Arbeitsmarkt, speziell nach Selbstkündigung bietet, ist Verweigerung und Auszeit.
Danach begibt man sich gemächlich auf die Jobsuche. Es ist dies ja schon eine fast altbekannte Routine.
Doch man findet sich in einer Zeit wieder, in der man erfahren muss, dass es für eine Stelle zwischen einhundert und vierhundert Mitbewerber gibt. Das senkt die Chance rein rechnerisch auf 1 bis 0,25%.
In der ersten Phase hat man noch Elan zur innovativen Eigeninitiative: man steuert Ziele an, die man sich schon lange beruflich gewünscht hat. zb Selbständigkeit. Doch fehlen einem Kapital, Connections
und Know-How, dann ist diese Idee von vornerein zum Scheitern verurteilt. Sich gegenüber der Konkurrenz
durchzusetzen, während man selber noch keinen Kundenstamm hat, ist vergebliche Mühe.

Es wechseln danach die Phasen des Bewerbens mit Phasen der Ruhe ab. Die Ruhe entsteht aus zeitweiligen
Enttäuschungen. Enttäuschungen sind Hoffnungen auf Jobs, die man sich lange erträumt hat, bei denen man sogar 1-2 mal zum Gespräch geladen wurde, und die dann ebenso in einer Absage enden. Die Stelle des Chefs nimmt das Arbeitsamt ein. Man arrangiert sich mit dem Arbeitsamt vernünftig und gütlich. Heißt es, man
möge kriechen, dann kriecht man. Denn ohne es verhungert man. Es ist ein Kavaliersdelikt, dem AMS-Betreuer
Zuversicht und Elan vorzugaukeln, doch ist es ein Sakrileg, dem externen coach 'Fakes' vorzulegen. Man ist sogar bereit, dieses Sakrileg zu verletzen.

Nach einem halben bis einem Jahr steht man an der Kippe von der gewöhnlichen Fluktuationsarbeitslosigkeit zur Langzeitarbeitslosigkeit. Es beginnt die Ächtung seitens der Umwelt. Kommt man in die Verlegenheit, neue private Kontakte zu knüpfen, dann sind sie nicht von langer Dauer oder vertiefen sich garnicht erst.
Nach und nach zieht man sich aufgrund dieser nonverbalen Ächtung unwillkürlich auch von Verwandten und Bekannten zurück. Denn ein Thema, welches gut 50% des Gesprächsstoff der anderen ausmacht, ist für einen selber peinlich.

Bei dem Thema GELD gibt es zwei Möglichkeiten
  • Man hat sich immer über seine Ausgaben und Konsumgüter definiert. In dem Fall (speziell bei Schulden) macht sich sehr bald ein starkes finanzielles Manko breit. Man drängt mit aller Kraft auf den Markt zurück. Man ist bereit, jegliche Arbeit, auch schlechter bezahlte, unter der eigenen Qualifikation anzunehmen.
  • Man hat nie soviel Geld gebraucht, wie man früher verdient hat. Das bedeutet einerseits, dass man eventuell noch auf marginale Reserven im Knappheitsfalle zurückgreifen kann - oder es bedeutet
    schlichtwegs, dass das wenige Geld, welches man jetzt zur Verfügung hat, für die notwendigen Kosten reicht.
    In beiden Fällen ist es so, dass die freitäglichen Nachmittagsfrust-Einkäufe ausfallen.

    Im Zuge der Ächtung seitens der Gesellschaft - welche auch immer das sei, die einen umgeben hat:
    Verwandte des Partners, Geschwister, Cyberbekanntschaften, ehemalige Mitschüler - beginnt man,
    einen unglaublichen Drang zu entwickeln, wieder für die Gesellschaft nützlich sein zu müssen. Es fällt einem auf, wie sehr sich manche Menschen auf glückliche Weise mit ihrer Arbeit identifizieren.
    In diesem Fall ist es besonders tragisch, wenn man ausgerechnet in der fatalen Schere zwischen erhöhtem Pensionsalter und erhöhter Arbeitslosigkeit driftet. Man wird matt in den Vorstellungsgesprächen.
    Früher noch dachte man, man bewältige das gut - nun aber kommt man zum Schluss, dass man in einem Bewerbungsgespräch auch beim besten Willen keine Zuversicht oder Selbstbewusstsein ausstrahlen kann.
    Man kommt zu dem Schluss: 'Wer mich jetzt noch nimmt, der muss echt an Poscha hobm!' Teils erscheint es einem, als hätten einen die Chefs nur zur eigenen Belustigung eingeladen, weil man vielleicht sowas wie ein Kuriosum ist.

    Auch in dieser Etappe des traurigen Spiel des Lebens gibt es zwei Möglichkeiten.
  • Speziell im ersteren Fall des akuten Geldmangels und der damit einhergehenden totalen Desperanz, mit einem Hang zu Passivität und Depression, verfällt man in Trunksucht, Spielsucht oder Geldausgeb-Wahn.
    Verstärkt wird auch dieses Verhalten durch Schulden oder Alimenteforderungen.
  • Im anderen Fall - und vor allem, wenn es sich um einen eigeninitiativ und aktiven betroffenen handelt - widmet man sich wieder alten Hobbies, um wenigstens irgendeine neue Perspektive zu haben,
    wenn die berufliche sich verschließt.
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